Wir aber müssen sagen, wenn wir aus den Zeichen der Zeit in der richtigen Weise erneuern dieses Wort:
O Menschenseele, erkenne dich selbst in deinem wesenden Weben in Geist, Seele und Leib. -
Dann haben wir verstanden dasjenige, was allem Menschenwesen zu Grunde liegt.
Rudolf Steiner (GA260)
Die Wesensglieder des Menschen
In der von Rudolf Steiner begründeten Anthroposophie werden dem Menschen über den physischen Körper hinaus noch weitere Leiber zugesprochen. Diese werden auch Wesensglieder genannt.
Eine einfache Aufteilung dieser Wesensglieder ist eine dreiteilige in Körper, Seele und Geist.
Diese Dreiteilung wird Thema dieses Beitrags sein. In zwei weiteren Beiträgen werden wir auf die sieben und auf die neun Wesensglieder eingehen.
Körper, Seele und Geist
Bis zum neunten Jahrhundert wurde auch im Christentum aus einer Trichotomie des Menschen in Leib, Seele und Geist gesprochen. Beim Vierten Konzil von Konstantinopel wurde diese Anschauung dann als Häresie verurteilt. Der Geist, so die Argumentation sei kein eigenständiger Teil des Menschen, dieser würde nur aus Körper und Seele bestehen. Über diese Aberkennung des Geistes durch die Kirche und die Folgen, die wir bis heute erleben können, läßt sich ein eigener Blogbeitrag schreiben.
Rudolf Steiner beschreibt die Dreiteilung des Menschen in Körper, Seele und Geist in GA9 ganz anschaulich am Beispiel eines Spaziergangs über eine Blumenwiese:
Ich gehe über eine mit Blumen bewachsene Wiese. Die Blumen künden mir ihre Farben durch mein Auge. Das ist die Tatsache, die ich als gegeben hinnehme. - Ich freue mich über die Farbenpracht. Dadurch mache ich die Tatsache zu meiner eigenen Angelegenheit. Ich verbinde durch meine Gefühle die Blumen mit meinem eigenen Dasein. Nach einem Jahre gehe ich wieder über dieselbe Wiese. Andere Blumen sind da. Neue Freude erwächst mir aus ihnen. Meine Freude vom Vorjahre wird als Erinnerung auftauchen. Sie ist in mir; der Gegenstand, der sie angefacht hat, ist vergangen. Aber die Blumen, die ich jetzt sehe, sind von derselben Art wie die vorjährigen; sie sind nach denselben Gesetzen gewachsen wie jene. Habe ich mich über diese Art, über diese Gesetze aufgeklärt, so finde ich sie in den diesjährigen Blumen so wieder, wie ich sie in den vorjährigen erkannt habe. Und ich werde vielleicht also nachsinnen: Die Blumen des Vorjahres sind vergangen; meine Freude an ihnen ist nur in meiner Erinnerung geblieben. Sie ist nur mit meinem Dasein verknüpft. Das aber, was ich im vorigen Jahre an den Blumen erkannt habe und dies Jahr wieder erkenne, das wird bleiben, solange solche Blumen wachsen. Das ist etwas, was sich mir offenbart hat, was aber von meinem Dasein nicht in gleicher Art abhängig ist wie meine Freude. Meine Gefühle der Freude bleiben in mir; die Gesetze, das Wesen der Blumen bleiben außerhalb meiner in der Welt.
Dies bedeutet, der Mensch verbindet sich in dreifacher Weise mit der Welt.
Ich sehe die Blume = Sinneswahrnehmung der Blumen = Leib des Menschen
Ich freue mich über die Blume = Sinnesempfindung/Gefühle = Seele des Menschen
Ich sinne über die Gesetzmäßigkeit der Blumen nach = Erkenntnis = Geist des Menschen
Der Körper des Menschen
Durch seinen Körper nimmt der Mensch über die Sinnesoffenbarungen (siehe auch Beitrag zum 1. Jahrsiebt) seine Umgebung wahr und tritt mit seiner Umwelt in Kontakt. Durch Sinnesorgane und Gehirn kann der Mensch die Eindrücke aufnehmen, sich vorstellen und verstandesmäßig erfassen. Durch seinen Körper gehört der Mensch der sinnlichen Welt an und nimmt sie wahr.
In der dreiteiligen Betrachtung der Wesensglieder gehört zum Leib des Menschen neben seinem physischen Körper auch der Lebensleib und anteilig der Empfindungsleib. Auf diese werden wir im nächsten Beitrag tiefer eingehen.
Die Seele des Menschen
Durch den Leib erlebt sich der Mensch getrennt von der Außenwelt, durch die Seele entsteht Bewusstsein im Menschen. Dadurch und durch die in der Seele beheimateten Gefühle ist wieder Verbundenheit mit der Welt möglich. In der Seele verbinden sich die leibliche und die geistige Existenz des Menschen.
Wenn ich durch die Sinne, also durch den Leib die Außenwelt wahrnehmen kann, so empfinde ich sie mit der Seele. Rudolf Steiner beschreibt dies in GA9 so:
„Als eigene Innenwelt ist die seelische Wesenheit des Menschen von seiner Leiblichkeit verschieden. Das Eigene tritt sofort entgegen, wenn man die Aufmerksamkeit auf die einfachste Sinnesempfindung lenkt. Niemand kann zunächst wissen, ob ein anderer eine solche einfache Sinnesempfindung in genau der gleichen Art erlebt wie er selbst. Bekannt ist, daß es Menschen gibt, die farbenblind sind. Solche sehen die Dinge nur in verschiedenen Schattierungen von Grau. Andere sind teilweise farbenblind. Sie können daher gewisse Farbennuancen nicht wahrnehmen. Das Weltbild, das ihnen ihr Auge gibt, ist ein anderes als dasjenige sogenannter normaler Menschen. Und ein Gleiches gilt mehr oder weniger für die andern Sinne. Ohne weiteres geht daraus hervor, daß schon die einfache Sinnesempfindung zur Innenwelt gehört. Mit meinen leiblichen Sinnen kann ich den roten Tisch wahrnehmen, den auch der andere wahrnimmt; aber ich kann nicht des andern Empfindung des Roten wahrnehmen. – Man muß demnach die Sinnesempfindung als Seelisches bezeichnen. Wenn man sich diese Tatsache nur ganz klar macht, dann wird man bald aufhören, die Innenerlebnisse als bloße Gehirnvorgänge oder ähnliches anzusehen. – An die Sinnesempfindung schließt sich zunächst das Gefühl. Die eine Empfindung macht dem Menschen Lust, die andere Unlust. Das sind Regungen seines inneren, seines seelischen Lebens. In seinen Gefühlen schafft sich der Mensch eine zweite Welt zu derjenigen hinzu, die von außen auf ihn einwirkt. Und ein Drittes kommt hinzu: der Wille. Durch ihn wirkt der Mensch wieder auf die Außenwelt zurück. Und dadurch prägt er sein inneres Wesen der Außenwelt auf. Die Seele des Menschen fließt in seinen Willenshandlungen gleichsam nach außen. Dadurch unterscheiden sich die Taten des Menschen von den Ereignissen der äußeren Natur, daß die ersteren den Stempel seines Innenlebens tragen. So stellt sich die Seele als das Eigene des Menschen der Außenwelt gegenüber. Er erhält von der Außenwelt die Anregungen; aber er bildet in Gemäßheit dieser Anregungen eine eigene Welt aus. Die Leiblichkeit wird zum Untergrunde des Seelischen.“
Mit den leiblichen Sinnen nehme ich die Außenwelt wahr. Schon hier ist die Wahrnehmung je nach Entwicklung der Sinne eine ganz unterschiedliche zwischen den Menschen.
In meinem Innern verbinde ich mit der Wahrnehmung Empfindungen, welche Gefühle in mir auslösen. Auf dem Grund der Sinneswahrnehmungen meiner Leiblichkeit, bilde ich mir eine eigene Welt im Innern, meine Seele.
Der Geist des Menschen
Der Geist des Menschen ist nie fertig, sondern in ewigen Werden begriffen. Er ist der unvergängliche, geistige Wesenskern des Menschen. Durch dieses individuelle Ich kann der Mensch schöpferisch tätig sein. So ist er der Umwelt und seinen Erlebnissen und Erfahrungen nicht hilflos ausgeliefert. Durch den Geist kann er auch in tiefsten Schicksalsschlägen einen Sinn erkennen. Mit dem Geist erkennt der Mensch die Gesetzmäßigkeiten. Durch den Geist ist der Mensch verbunden mit der Geistigen Welt.
Wir hoffen, dieser erste Beitrag konnte eine verständliche Einführung sein in die Wesensglieder des Menschen in der Betrachtung durch die Anthroposophie.
In der Erziehungskunst finden Sie einen interessanten Artikel über die Wesensglieder des Menschen: Die Entdeckung des dreigliedrigen Menschen.
Im Waldorfshop finden Sie das Buch "Die Erziehung des Kindes" von Rudolf Steiner, in dem Sie auch vieles zu den Wesengliedern des Menschen erfahren können.